Japanisches Sprichwort

Die Geschichte der Schrift

1. Einleitung
2. Bilder und Symbole
3. Religion und Zivilisation
4. Schreibtraditionen
5. Begriff und Wort
6. Wort und Silbe
7. Buchstabe und Laut
8. Kulturaustausch
9. Ausblick


1. Einleitung

Informationen zu fixieren ist für den modernen Menschen gleichbedeutend, mit "etwas aufschreiben". Dieses Aufschreiben kann etwas Handschriftliches sein, das Eintippen eines Textes auf der Tastatur eines Computers, auf dessen Bildschirm das Geschriebene erscheint, was man nach Wunsch speichern kann. Die Verwendung von Schrift ist bis heute das wichtigste Mittel geblieben, die beständig anwachsende Informationsflut zu verarbeiten. Der Mensch braucht die gesprochene Sprache, um Gemeinschaften zu bilden und Netzwerke kultureller Beziehungen zu schaffen. Das Schreiben ist erforderlich, um höhere kulturelle Organisationsformen menschlicher Gemeinschaften zu ermöglichen und zu erhalten.

Von der Gesamtzahl aller lebenden Sprachen der Welt sind nur 13% verschriftet. Zu den Schriftsprachen gehören alle Weltsprachen, deren Sprecher zusammen 60% der Weltbevölkerung ausmachen. Dies bedeutet konkret, dass die Schriftkultur bei den meisten Bewohnern unseres Planeten verbreitet ist.

Heute gehört es zu den Selbstverständlichkeiten des Alltagslebens eines Europäers, Wörter mit Buchstaben wiederzugeben. Doch die Ausbildung eines Alphabets war ein langer und enorm komplizierter Prozess.
Die Herausbildung unseres Schriftsystems beruht auf einem Wechselfall der Geschichte.
Der Entwicklungsgang der Schrift folgt dem der allgemeinen Kulturgeschichte. Evolutionsphasen haben sich abgelöst, was aber nicht heißt, dass sich ältere Phasen immer und überall überlebt haben. So wie es im Computerzeitalter noch Menschen in Gemeinschaften von Jägern und Sammlern leben, so schreibt man noch heute in einigen Teilen der Welt nach dem selben Prinzip, nach dem schon vor Tausenden von Jahren geschrieben wurde.

Für die Menschen, die das Kulturgut „Schrift“ ebenso fasziniert wie uns, und die einiges mehr über deren Geschichte erfahren möchten, folgt nun eine zusammenfassende Beschreibung der Entwicklung der Schrift, vor allem der europäischen. Die Informationen wurden aus dem Buch „Universalgeschichte der Schrift“ von Harald Haarmann, Zweitausendeins ausgewählt, welches einen umfassenden Eindruck über eine Vielzahl von Schriftsystemen sowie neue Forschungsergebnisse gibt.

2. Bilder und Symbole zurück

Bevor der Mensch schreiben lernte, drückte er seine Gedanken in Bildern aus. Bilder auf Stein gehören zu den frühesten Manifestationen der menschlichen Kreativität.
Man denke nur an die zahlreichen Felszeichnungen oder Höhlenmalereien, die in allen Kontinenten gefunden wurden. Doch bevor es dem modernen Menschen gelingen kann, in den Sinn von Felsbildern einzudringen, muss er die Grundlagen der kulturellen Bildtechniken lernen, wie die Wörter und Grammatik einer fremden Sprache. Dann erstaunt der enorme Informationsgehalt , der in den Bildkompositionen steckt.
Die Bildtechnik ist ein Ausdrucksmittel, das kaum überschätzt werden kann.

Als Beispiele für steinzeitliche Felsbilder sind die Bildkompositionen in den Höhlen von Altamira (Spanien) und Lascaux (Frankreich) genannt.
Neolithische Felsbilder aus dem 3. und 2. Jahrtausend vor Ch. findet man im Gebiet des Weißen Meeres. Der Dachstein vom Onegasee zeigt eine solche Fülle von Einzelmotiven, dass er bis heute noch nicht widerspruchsfrei interpretiert werden konnte.
In Skandinavien hat die Tradition der steinernden Bilderzählungen bis ins hohe Mittelalter weitergelebt.
Auch im modernen Alltag finden wir bildliche Symbole, z.B. im modernen Verkehrswesen oder bei Gebrauchsanweisungen.

3. Religion und Zivilisation zurück

Die Verwendung von Schrift hat etwas mit Zivilisation zu tun. Es ist leicht einzusehen, dass die Verwendung von Schrift bestimmte gesellschaftliche Bedingungen voraussetzt. Dazu gehören der Aufbau einer kommunalen Organisation, eine fortgeschrittene Arbeitsteilung sowie eine soziale Differenzierung der Bevölkerung, außerdem spirituelle Vorstellungen, die es erlauben, alle kulturellen Aktivitäten in den Rahmen eines Weltbildeseinzuordnen. Dies sind jedenfalls die Bedingungen, die auf die Hochkulturen des Altertums zutreffen, in denen die Idee der Schrift entstanden ist. In allen Fällen handelt es sich um eine ansässige, Ackerbau treibende Bevölkerung, die in festen Siedlungen lebte.

Es ist naheliegend, eine "moderne" Begründung für die frühe Schriftverwendung in der Notwendigkeit zu suchen, eine beständig zunehmende Fülle an Informationen zu bewältigen. Gesetzestexte und Urkunden mussten aufgezeichnet, Chroniken geschrieben sowie Gesänge und Erzählungen festgehalten werden. Aber die historische Realität ist eine andere, die Motivation, eine Schrift zu entwickeln ist nirgendwo weltlicher Art.
Sämtliche archaische Gegenstände, die Schriftzeichen tragen, wurden außerhalb von Siedlungsplätzen an Kult- und Begräbnisstätten gefunden.

Die alteuropäische Zivilisation findet ihre Wurzeln in der jüngeren Steinzeit, dem Neolithikum . Um die Wende vom 7. zum 6. Jahrtausend hatten sich bereits fünf Regionalkulturen herausgebildet, die sich durch fortgeschrittene Keramikherstellung sowie durch religiöses Brauchtum vom übrigen Europa deutlich unterschieden. Hierzu gehören die Gebiete um die Ägäis und des mittleren Balkan, die Region der südlichen Adria, an der mittleren Donau, des Ostbalkangebiets und der Moldau, das bis zur westlichen Ukraine reichte. Dieses Arial ist als Vinca-Kultur bekannt geworden. Die Siedlungen waren groß und bedeckten eine Fläche von zehn oder mehr Hektar.

Zwischen dem alteuropäischen Kulturkreis und Anatolien findet man eine Reihe von Parallelen, die auf eine gemeinsame Entwicklungsperiode im Neolithikum hindeuten. Besonders auffällig sind gemeinsame Motive in der religiösen Symbolik. Es sind weibliche Idole mit ausgeprägten Attributen, wie Brüste und Hüften gefunden worden. Diese standen im Zusammenhang mit der großen Muttergottheit. Ebenso hatte der Stier eine religiösen-kultische Bedeutung.
Doch durch die Verwendung der Schrift unterscheidet sich Alteuropa von zeitgenössischen Kulturen in Kleinasien. Die altbalkanische Schrift geht auf das Ende des 6. Jahrtausend zurück und es steht fest, dass es sich nicht um einen sumerischen Import handeln kann. Neue Studien zeigen, dass nicht weniger als zwei Jahrtausende zwischen den ersten Zeugnissen der Vinca-Kultur und den ältesten sumerischen Aufzeichnungen liegen. Außergewöhnlich wie das Alter dieser Schrift ist auch ihre Bindung an die religiöse Sphäre. Die Gegenstände, die Schriftzeichen tragen, standen offensichtlich im Zusammenhang mit der Anbetung und Anrufung von Gottheiten, und sie spielten eine Rolle für das kultische Ritual von Bestattungszeremonien. Die Beschränkung der Schriftfunde auf Kultstätten ist ein Indiz dafür, dass die alteuropäische Schrift eine Sakralschrift war, die von einer priesterlichen Oberschicht verwendet wurde.
Länger als eineinhalb Jahrtausende war diese Schrift in Gebrauch, vom ausgehenden 6.bis zur Mitte des 4. Jahrtausend vor Chr.
Dann bricht die Tradition der Sakralschrift ab und Europa fällt um 3500 v. Chr. in ein schriftloses Stadium zurück.
Zu Beginn der Bronzezeit ist Südeuropa bereits durch die Kultur der indogermanischen Eindringlinge geprägt.
Zweifellos brachte die indogermanische Bevölkerung neue Glaubensvorstellungen und eine patriarchalische Sozialstruktur mit sich. Obwohl zwischen der Ankunft der indogermanischen Stämme und der ersten Hochkultur auf dem Festland (Mykene) ein langer Zeitraum liegt, leben doch alte religiöse Motive der frühen Keramik, wie die Fortsetzung der mit der Schlangen- und Vogelgöttin Alteuropas verbundenen Symbolik fort.

Prinzipiell ist davon auszugehen, dass die Idee, Schrift zu verwenden, unabhängig in verschiedenen Kulturen und zu verschiedenen Zeiten entstehen kann. Dies gilt in jedem Fall für Alteuropa, Altchina und für das präkolumbianische Mittelamerika.
So ist es denkbar, dass die Anfänge der Schrift in Mesopotamien von denen in Alteuropa unabhängig sind. Es gibt allerdings einige Kriterien, die historische Beziehungen nicht von vornherein ausschließen. Auffällig sind Gemeinsamkeiten in der religiösen Symbolik. Die aus der sumerischen Kultur bekannten Spirale, dem Lebensbaum oder des Stiers als göttliche Attribute, von vogelköpfigen Gottheiten oder einer weiblichen Gottheit, die ein Kind in den Armen hält, gehörten auch zum sakralen Repertoire der alteuropäischen Zivilisation.
Die religiöse Grundvoraussetzung der sumerischen Gesellschaft wird durch die Siegelschneidekunst veranschaulicht. Es gibt viele Siegel mit ausschließlich bildlichen Darstellungen, auf anderen tritt die Schrift in Verbindung mit Bildsymbolen Thematisch sind die Inschriften religiös gebunden.
Älter als die Schriftbelege auf Siegeln sind aber die Listen verwaltungstechnischen Inhalts, die man der staatlichen Bürokratie zuschreibt, aber auch das hat einen religiösen Hintergrund. Für die sumerischen Tempelstädte war die Wahrung und Mehrung des Tempelbesitzes der Schaffung von privatem Eigentum deutlich übergeordnet.

Ebenso dienten in Ägypten die Hieroglyphen als Zeremonialschrift der Verherrlichung des Gottkönigtums. Die Versuche der Priester in vordynastischer Zeit geeignete Schriftträger zu finden und die Normierung eines Zeichenbestandes für den Schriftsprachgebrauch sind eingebunden in die allgemeine Zweckbestimmung der Lebenden, nämlich die des Gottesdienstes.

In China hat sich eine eigenständige Schrift entwickelt. Die ältesten Dokumente stammen aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. Unter anderem fand man Tausende von beschrifteten Knochen und Schildkrötenschalen. Die Knochen, zumeist beschriftete Schulterblätter von Hirschen oder Ochsen hatten etwas mit magischen Ritualen zu tun.

Auch aus der Induskultur, die zwischen 2600 v. Chr. Und der Mitte des 2. Jahrtausends blühte sind Hunderte von Inschriften erhalten, die sich alle auf Siegeln befinden, die wie in anderen Hochkulturen einem zeremoniell-repräsentativen oder mystisch-religiösen Zweck dienten.

Die ursprüngliche Motivation, Schrift zu schaffen und zu verwenden, ist magisch-religiös begründet und speist sich aus der gleichen Quelle, die auch für die Entstehung steinzeitlicher Felsbilder verantwortlich ist.

4. Schreibtraditionen zurück

Wenn man die Schriftsysteme, die in Geschichte und Gegenwart geschaffen und verwendet wurden, miteinander vergleicht, so fällt auf, dass die Anzahl der Schriftsymbole in einzelnen graphischen Systemen recht verschieden sein kann.
Die Sprache der Maori auf Neuseeland kommt beispielsweise mit dreizehn Schriftzeichen des lateinischen Alphabets aus.
In China wurden, rechnet man gebräuchliche und historische Schriftzeichen zusammen, fast 50 000 Einzelsymbole verwendet,. Von Europäern wird immer wieder die Frage gestellt, warum man in China oder Japan nicht zum lateinischen Alphabet überwechselt.

Das die Menschen in einer Sprachgemeinschaft an ihrer Schrifttradition festhalten, liegt an der Gewohnheit und Vertrautheit mit einem Kulturmuster, in dem die Angehörigen aller Generationen ihre Identität finden. Wenn in einer Sprachgemeinschaft dennoch ein Schriftwechsel stattfindet, gibt es dafür zwingende gesellschaftliche sowie politische Gründe. Ein Beispiel dafür ist die Türkei, die im vorigen Jahrhundert vom arabischen zum lateinischen überwechselte. Dieser Vorgang symbolisiert die Überwindung einer islamisch orientierten Gesellschaftsordnung und den Aufbruch in eine moderne Zeit nach dem Vorbild europäischer Staaten. Die arabische Schrift verschwand aus dem öffentlichen Leben, blieb aber in der islamischen Geistlichkeit im Gebrauch, denn die Schrift des Koran war und bleibt arabisch.
Auch die Vietnamesen schreiben heute in lateinischen Buchstaben, denn diese wurde von den Europäern dorthin „exportiert“.
Für die Malteser dagegen ist die religiöse Bindung in geschichtliche Perspektive wie auch in der heutigen Zeit ausschlaggebend für den Gebrauch der lateinischen Schrift.

Die Schriftzeichen sind ein Abbild der jeweiligen Kultur.
China hat eine lange Tradition der Keramikherstellung. Deshalb findet man in frühen chinesischen Schriftzeichen vielfältige Gefäßformen. Auch die ägyptischen Hieroglyphenschrift zeigt Formen von Stein- und Tongefäßen. Ebenso spiegelt sich die reiche Fauna wieder, wozu vor allem viele Wasservögel gehören.
Das vielleicht bekannteste Motiv der kretischen Kunst ist die Doppelaxt. Sie war sowohl ein herrschaftliches als auch religiöses Symbol, welches mit vorindogermanischen Wassergottheiten in Verbindung steht.

Tiergestalten haben immer ein wichtiges Symbol. Darunter sind solche, die auch in der Moderne nicht an Attraktivität verloren haben. So schmückt der Löwe heute das Staatswappen Finnlands, der Adler ist bei den Deutschen als Wappentier lebendig. Der Adler gehört aber auch als Symbol in alle präkolumbianischen Hochkulturen, von Mexiko bis Peru.
Bildhafte Schriftzeichen haben eine kulturelle Spezifik. Doch die Bildtechnik allein reicht nicht aus, dass ein vollständiges und umfassendes Schriftsystem für eine Sprache entsteht. Erst in der Kombination mit der Symboltechnik ist es möglich, ein flexibles System von Schriftzeichen zu schaffen. Die Flexibilität besteht darin, einerseits mit bildhaften Zeichen nicht-bildhafte Inhalte auszudrücken und anderseits, durch begriffliche Inhalte abstrakte Zeichen zu symbolisieren (z.B. Zahlzeichen).

Schrift der Nashi - Himalaja Das Problem, wie die Zeichen der Schrift mit sprachlichen Elementen verbunden werden, kann auf zweierlei Wegen gelöst werden. Entweder man orientiert sich am Inhalt dessen, was mit Sprache ausgedrückt werden soll, also an der Wortbedeutung, oder man schreibt, unabhängig von der Bedeutung, die Laute der Sprache. Die inhaltorientiert Schreibweise nennt man Logographie (griech. Logos >Gedanke<) . Diese Schreibweise hat die längere Tradition (z.B. chinesische Schrift). Hier steht jeweils ein Zeichen für ein Wort.
Die andere Variante heißt Phonographie (griech. Phone >Ton<). Diese Schreibweise ist unsere bekannte.

5. Begriff und Wort zurück

Die ältesten Entwicklungsstufen der Logographie, wie sie beispielsweise aus dem sumerischen Kulturkreis überliefert sind, lassen noch deutliche Beziehungen zur Bildtechnik erkennen. Im Anfangsstadium der Schrift gab es noch fließende Übergänge zwischen der schriftlichen Fixierung von Gedanken, die unter Umständen auch durch mehrere Wörter ausgedrückt wurden (Typ der Ideenschrift), und der Schreibung von Einzelwörtern (Typ der Wortschrift). Was die Übergangsform einer kombinierten Ideen- und Wortschrift mit dem Typ der Bilderzählung verbindet, ist der Umstand, dass eine genaue Kenntnis der Grammatik nicht erforderlich ist. Um eine solche Schrift zu lesen, muss man nicht unbedingt die Sprache kennen, da der Sinn aus den Bildern zu entnehmen ist.

Zahlreiche archäologische Funde , wobei die ältesten beschrifteten Tontafeln aus dem ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. Stammen, wurden in Mesopotamien dokumentiert. Auf einer der sogenannten Buchungstafeln erkennt man die Verbindung von Ideogrammen (Wortbildzeichen) mit Einheiten des sumerischen Zahlensystems. Einfache Bildzeichen (altsumerische Piktogramme) machen den größten Teil der alten Schriftsymbole aus. Ein halbes Jahrtausend wurde diese Wortschrift verwendet, was aber nicht heißt, dass jedes Wort schriftlich festgehalten worden wäre. Vielmehr wurden nur diejenigen Ausdrücke geschrieben, die für den gegebenen Kontext wichtig waren. Aus dem Anfangsstadium der sumerischen Schrift sind bis 1800 Einzelsymbole bekannt, die sich aber im Laufe der Jahre immer mehr reduzierten. Um 2550 v. Chr. geben die Schriftzeichen schon Grundelemente der sumerischen Lautstruktur wieder. Parallel zur Vereinfachung der Schriftzeichen wurde auch die Schreibtechnik revolutioniert. In der archaischen Phase der Schriftverwendung wurde mit einem spitzen Griffel geschrieben. Ein bequemeres Schreiben erzielte man, in dem man die Tontafeln, auf die geschrieben wurden, um 90° drehte. Um die Mitte des 3. Jahrtausend v. Chr. wurde mit verschiedenen Schreibgriffeln experimentiert. Dabei setze sich ein Griffel mit stumpfer Form durch. Mit dessen Hilfe wurden keine Zeichen mehr in den Ton geritzt, sondern durch Schrägstellung des Griffels in den Ton eingedrückt. Nun waren die Formen der Schriftzeichen eckig. Der charakteristische Abdruck war ein Keil, nach dem der Schrifttyp als Keilschrift bezeichnet wird. Diese Stilisierung lässt keine figürlichen Assoziation zu. Zwischen 1800 und 1700 v. Chr. werden die meisten altbabilonisch-sumerischen Texte in einer Silbenschrift festgehalten. Die Verwendung von Wortbildzeichen wird durch die Keilschrift als eigener Schrifttyp abgelöst.

Zwischen den sumerischen Stadtstaaten und den Zentren der Induszivilisation gab es frühe Kontakte. Ein reiches bildmäßige Potential bildet sich auch hier heraus, wobei die Schreibweise nach dem Schlagwortprinzip eine auffällige Parallele zur altsumerischen Schreibweise erkennen lässt.

Die chinesische Tradition setzt ein, als die Indus-Schrift bereits außer Gebrauch war. Sie wird mit Sicherheit als eine Eigenentwicklung angesehen. Ebenso vermutet man auch für Altkreta eine eigenständige Entwicklung, weil sich seine Logographie sehr von den zeitgenössischen phonographischen Systemen unterschied. Doch auch die kretische Hieroglyphenschrift kommt außer Gebrauch und ihr Schrifttum gerät in Vergessenheit. Die Auflösung der kretischen Schriftkultur fällt etwa in die gleiche Periode wie der gewaltsame Bruch in der indischen Schrifttradition. Um 1500 v. Chr. werden in Kreta keine Hieroglyphen mehr verwendet, Indien fällt in ein schriftloses Entwicklungsstadium zurück und die Babylonier, die schon fast tausend Jahre die Keilschrift verwenden, wissen nichts mehr von der altsumerischen Wortschrift.
Die Logographie in China ist zwar die jüngste der Wortschriften, die im Altertum entstanden sind, sie ist aber gleichzeitig diejenige mit der längsten ungebrochenen Tradition in der Welt. Die chinesische Schrift wird heute von mehr als einer Milliarde Menschen verwendet, etwa einem Fünftel der Weltbevölkerung, was sie im Kreis der modernen Schriftsysteme bedeutend macht.

Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass das logographische Prinzip der Schrift auch in Europa gilt, als Zusatzkomponente aller modernen Alphabetschriften. Auf der Tastatur des PC findet man eine Reihe logographischer Symbole (! “ § % & / = ? * + - ) Dies ist nur ein Bruchteil des Inventars an bildlichen oder abstrakt-geometrischen Symbolen. Die Mehrzahl der Zeichen vermittelt die Information ohne die Beteiligung von Sprache. Auf den modernen Menschen wirken viele abstrakte Symbole ein, im Mathematikunterricht, bei der Wettervorhersage im Fernsehen oder im Berufsleben.

6. Wort und Silbe zurück

Silben- und Segmentalschriften sind Varianten einer Schreibweise , die sich an der Lautung von Wörtern orientiert. Gegenüber der Logographie kommen diese Schriften mit wesendlich weniger Schriftzeichen aus. Doch überall wo im Altertum Silbenschriften entstanden sind, gab es vorher Varianten der Wortschriften. Wo sich kein Entwicklungsgang von der Logographie zur Phonographie nachweisen lässt, handelt es sich um eine Beeinflussung von außen.
Die Phonographie der hieroglyphischen Symbole in Ägypten erfolge zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrtausends. Während die älteste Segmentalschrift in Ägypten ausgebildet wurde, entstand in Mesopotamien die älteste, lesbare Silbenschrift. Doch hier wie dort handelt es sich nicht um „reine“ Formen der Phonographie, denn im Sumerischen wie auch im Ägyptischen wurden Ideogramme verwendet, die entweder als Wortzeichen oder Determinative fungieren. Einige Forscher haben die Auffassung, dass die Zeichen nur phonetisch gebraucht wurden, wenn sie an die Grenzen der Wortschrift kamen.
Die Keilschrift wird als Paradebeispiel für Silbenschriften angesehen, aber das trifft nur außerhalb des sumerischen Kulturkreises zu.
Die Akkader waren im 3. Jahrtausend v. Chr. in das Zweistromlandes eingewandert. Sie benutzten die sumerische Keilschrift zur Aufzeichnung von Texten in ihrer Muttersprache.
Als gesprochene Sprache war das Akkadische (gesprochenes Babylonisch und Assyrisch) länger als zweieinhalb Jahrtausende in Gebrauch. Dabei entfallen auf die schriftliche Verwendung rund 2000 Jahre. Ein berühmtes Beispiel der babylonischen Texte ist die Gesetzessammlung des Hammurabi (um 1760 v. Chr.).
Die Keilschrift war das verbreiteste, am häufigsten und längsten gebrauchte Schriftsystem des alten Orients, und es wurde in unterschiedlichen Varianten für ganz verschiedene Sprachen verwendet.
Auch die Hethiter, ein indogermanisches Volk, was nach der Wende vom 3. zum 2. vorchristlichen Jahrtausend aus dem Gebiet des Kaspischen Meeres nach Kleinasien einwanderte, hatte bereits Kenntnis von einer Keilschrift. Deren Anfänge liegen jedoch gänzlich im Dunkeln, aber es scheint eine Beziehung zu kretischen Schriftsystemen zu geben, so dass man von einem gemeinsamen Ursprung ausgeht.
In Kreta und auf dem griechischen Festland entwickelte sich die Silbenschrift Linear B, in der Texte in mykenisch-griechischer Sprache aufgezeichnet worden sind. Sie ist die einzige Silbenschrift für eine bekannte europäische Sprache. Die meisten bislang gefundenen Texte in Linear B sind kurz und beinhalten Aufstellungen. Die Tontafeln bestehen aus Listen von Personen, Tieren und Waren, Aufstellungen über Besitztum und dergleichen. Die älteren Texte, die aus Kreta und dem 15. Jahrhundert v. Chr. datiert werden, sind kürzer als die , die im 13. Jahrhundert auf dem griechischen Festland stammen.

Viele Europäer betrachten bis heute das klassische Griechenland als Wiege der europäischen Zivilisation, und sie halten die Einführung des Alphabets durch die Griechen für die erste Chance der Europäer, historisches Licht in das Dunkel der abendländischen Vorgeschichte zu werfen. Dabei ist es nur eine Laune der Geschichte, dass sich der griechisch-römische Kulturkreis nicht auf Linear B oder eine Variante dieses Schriftsystems als Kulturträger gestützt hat.

Der Eindruck, das sich silbische Schreibweisen als Erscheinungsformen einer älteren Phase der Schriftgeschichte überlebt haben, ist insofern zutreffend, als keine Silbenschrift der Antike in der Auseinandersetzung mit den späteren Alphabetschriften übrig geblieben ist.
Solche allgemeinen Beobachtungen sollen aber nicht zu dem Missverständnis führen, dass etwa Silbensysteme grundsätzlich als moderne Schreibweise ungeeignet wären. Die Verwendung von Syllabaren in Japan macht deutlich, dass silbische Schreibweisen einen Zugang ins Computerzeitalter gefunden haben.

7. Buchstabe und Laut zurück

Der Entwicklungssprung zu den Alphabetschriften ist groß, und wäre sie kontinuierlich aus Silbenschriften weiterentwickelt worden, dürfte man mit großen Zeiträumen rechnen. Die Schaffung einer vollkommenen Buchstabenschrift hat sich aus Vor- und Übergangsstufen entwickelt. Die Anfänge der modernen Alphabetschrift setzt man in der ersten Hälfe des 2. Jahrtausend v. Chr. im syrisch-palästinischen Gebiet an. Das dortige Schriftsystem wurde für verschiedene semitische Sprachen verwendet. Von diesen ist das Phönizische die wichtigste, denn die Schriftvarianten, in denen Texte dieser Sprache aufgezeichnet wurden, spielen für die Verbreitung und Fortentwicklung der Alphabetschrift eine Schlüsselrolle. Der Charakter dieser ältesten bekannten Schrift der Phönizier ist der einer Silbenschrift mit verschiedenen Konsonantenbezeichnungen. Bei den ältesten Schriftzeugnissen, die eindeutig in einer Buchstabenschrift abgefasst sind, handelt es sich um eine Inschrift und zwei Inschriftenfragment, die zwischen den 13. und 10. Jahrhundert datiert werden.

Antike Autoren suchten den Ursprung der Buchstabenschrift auch in Ägypten oder Kreta. Heute geht man nicht mehr davon aus, das Alphabet aus einer einzigen Schriftquelle zu erklären. Viel wahrscheinlicher ist es sich eine multikulturelle Beeinflussung vorzustellen. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen phönizischen und kretischen Schriftzeichen. Im kulturellen „Schmelztiegel“ des Nahen Ostens in der Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. wurde eine Aktivität entwickelt, die zum „Experiment“ der Buchstabenschrift führte.
Als aus dem Nahen Osten das Licht der Schriftverwendung zu den Griechen kam, hatten diese schon längst des Nutzen des Alphabets erkannt.
Die Schriftdokumente aus Kreta sind in die Zeit zwischen dem 10. und 8. Jahrhundert v. Chr. datiert. Damit ist geklärt, dass die älteste Variante einer europäischen Alphabetschrift auf Kreta gebildet wurde. Hier setzte sich die Tradition der Schreibung von rechts nach links bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. fort, während man auf dem griechischen Festland bereits im 7. Jahrhundert auf die bekannte rechtsläufige Schreibweise umstellte.
Die bedeutende Leistung der Griechen bestand nicht darin, dass sie die phönizische Schrift übernommen haben, sonder wie sie diese für ihren Gebrauch angepasst haben. Das Schriftsystem einer fremden Sprache wurde in einem einmaligen Entwicklungssprung das erste vollständige Alphabet, mit dessen Schriftzeichen sowohl Konsonanten als auch Vokale wiedergegeben werden.
Im Jahr 403 v. Chr. wurde die griechische Schrift vereinheitlicht, das war die erste Schriftreform auf europäischen Boden. Die damals eingeführte Schriftvariante mit 24 Zeichen ist das klassische griechische Alphabet. Es entwickelte sich zum zentralen Kulturträger des antiken Hellenismus.

In der kulturgeschichtlichen Betrachtung wird die Entwicklung der griechischen Schrift in einen engen Zusammenhang mit der lateinisch-römischen Schriftkultur gestellt.
Die ursprünglich getrennten Kulturkreise der Griechen und Latiner in der klassischen Zeit standen in vielfältiger Beziehung mit wechselseitiger Einflussnahme.
Die Latiner, die man später nach ihrer ruhmvollen Stadt Römer nannte, lernten Schreiben und Lesen von den Etruskern. Das älteste etruskische Schriftdokument ist eine Schreibtafel aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. in linksläufiger Anordnung der Zeichen, die Schreibtafel von Marsiliana. Die Etrusker brachten ihre Schrift nach der letzten größeren Einwanderungswelle mit. Man geht davon aus, dass sie das griechische Alphabet übernommen haben.
Das archaische lateinische Alphabet umfasste 21 Buchstaben. Da die lateinische Sprache , im Unterschied zu den Griechen, keine behauchten Tenus kennt, wurden diese Zeichen nicht übernommen. Weitere Veränderungen gab es im 2. Jahrhundert v. Chr. Das griechische Ypsilon war von den Etruskern zur Schreibung des u vermittelt worden. Die Römer übernahmen das Y noch einmal direkt aus der griechischen Schrift, und zwar in unveränderter Gestalt. Dadurch wurde lat. V (für u und v) und Y (für y) voneinander unterschieden. Schließlich wurde noch das Z (für dz) entlehnt und an das Ende des Alphabets gestellt.

Viele Millionen Menschen sind heutzutage die Schriftzeichen des klassischen lateinischen Alphabets geläufig, weil damit Hunderte von Sprachen geschrieben werden. Die Entwicklung des Alphabets von der phönizischen Buchstabenschrift zur Lateinschrift war ein langwieriger Prozess, der sich über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren und über mehrere Vermittlungsstufen hinzog. Die Ausbreitung der Lateinschrift über Europa und andere Kontinente der Ede seit der Zeit der römischen Klassik war im Unterschied dazu geradlinig, denn das lateinische Alphabet entpuppte sich als konsequente Begleiterscheinung des römischen Kulturerbes.

8. Kulturaustausch zurück

Schrift ist eine Technologie mit einer durchschlagenden Breitenwirkung auf die geistig-kulturelle Entwicklung der Menschheit. Ihre Bedeutung muss verglichen werden mit der Revolutionierung des Ackerbaus durch die Verwendung des Eisenflugs oder der Rolle der Keramikherstellung für die Intensivierung der Hauswirtschaft.

Effektive Technologien haben eines gemeinsam: sie verbreiten sich schnell, und zwar über beliebige Kultur- und Sprachgrenzen hinweg. Man geht heute davon aus, dass die Schrift an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten und voneinander unabhängigen Kulturkreisen entstanden sind und die Idee der Schrift latent in allen menschlichen Gemeinschaften existiert. Dies schließt wiederum nicht aus, dass zwischen einigen dieser Zivilisationen bereits in sehr alter Zeit Verbindungen bestanden haben. Prähistorische Kontakte zwischen Mesopotamien und Ägypten gelten als sicher. Auch die Sumerer und die Träger der Indus-Kultur unterhielten Handelsbeziehungen. Einiges spricht für Berührungen zwischen Alteuropa und dem Vorderen Orient in sehr alter Zeit. Die Evolution der Bildtechnik in Form der Bildererzählungen und die Entwicklung eines hieroglyphischen Schriftsystems bei den Olmeken, Maya und Azteken erfolgte ohne Beeinflussung von außen.

Wenn Schriftsysteme von verschiedenen Regionen aus in verschieden Richtungen ausstrahlen, kreuzen sich deren kulturelle Einflüsse irgendwo. Es kommt zu Kontakt von verschiedenen Schriftarten in der selben Region. Dabei genießen die verschiedenen miteinander rivalisierenden Schriftarten unterschiedliches Prestige. Ein System setzt sich auf Kosten des anderen durch.
Die Iberer haben bereits vorher das Alphabet der Phönizier übernommen und eine eigen Schriftkultur entfaltet. Da aber die Lateinschrift das Medium des Staatsvolkes war, wurde die alte Schrift verdrängt. Die Rivalität von Schriftsystemen artet unter Umständen in einen bedingungslosen Kulturkampf aus. So fand die mexikanische Schriftkultur durch die spanischen Eroberer ein gewaltsames Ende. Viel seltener bestehen zwei oder mehrere Schriftsysteme harmonisch nebeneinander, wie im Reich der Hethiter, als die Hieroglyphenschrift und die von den Akkadern übernommene Keilschrift gleich bedeutend waren.

In der Konfrontation mit dem Kulturgut „Schrift“ sind vielfältige Kontaktphänomene entstanden: Übernahme und Anpassung von Schrift (z.B. Lateinschrift in Westeuropa),
Überlagerung eines älteren durch ein jüngeres Schriftsystem ( z.B. die Runenschrift durch die Lateinschrift in Skandinavien), Abzeigung eines neuen Schriftsystems ( z.B. der Brahmi.Schrift aus der aramäischen) oder Schaffung einer unabhängigen Schriftart (z.B. der Hangul-Schrift in Korea mit seiner chinesischen Schriftkultur).


9. Ausblick zurück

Die Geschichte des Schreibens beginnt vor 7000 Jahren. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Schrift das wichtigste Medium der Informationsverarbeitung in aller Welt. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die Informationsverarbeitung immer mehr auf nichtschriftliche Systeme verlagert. Die rasante Entwicklung der Computertechnologie hat die in vielen Jahrhunderten gewachsene Kapazität der Schrift in wenigen Jahren überflügelt und leistet heute mehr an Datenverarbeitung, als es die Schrift je könnte.
Pessimistische Kulturphilosophen haben einen Verfall der Schriftkultur vorausgesagt oder zu einem Kreuzzug gegen das Computerwesen aufgerufen.
Ironie der Geschichte: viele von den Argumenten, die heute gegen die moderne Medientechnik und zum Schutz der Schriftkultur vorgebracht werden, wurde in der Antike durch Plato gegen das Schriftwesen und zum Schutz der mündlichen Traditionen ins Feld geführt. Doch die Schrift setze sich mehr und mehr durch, ohne dass die Erzählkunst aufgegeben worden wäre. Auch heute geht man noch ins Theater und das gesprochene Wort hat nichts an seiner Attraktion verloren.

Man kann die Uhr der Geschichte nicht anhalten. Die elektronische Datenverarbeitung ist unverzichtbar geworden. Sie steht auch nicht im Widerstreit zur den kulturellen Leistungen der Schrift. Der Mensch hat zwar Systeme der nichtschriftlichen Datenfixierung erfunden, er braucht aber weiter die Schrift, um Daten einzugeben und gewonnene Informationen verfügbar zu machen. Kein Analphabet kann einen Computer programmieren oder bedienen.

Die Schriftkultur erlebt heutzutage einen tiefgreifenden Wandel ihrer Funktion und Anwendungsbereiche. Man sollte sich der Symbiose von Schrift und Computer bewusst sein.

Im Vertrauen in die zukünftige Leistungskraft des Kulturträgers "Schrift" werden die modernen Menschen die neuen technologischen Verhältnisse ihrer Lebensweise anpassen und eine sinnvolle Beziehung zu den Traditionen der eigenen Zivilisation finden.


Literatur: Harald Haarmann, Universalgeschichte der Schrift, Zweitausendeins, 1990



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